Kitin Story - Erster Teil¶
Tief im Dunkel der Wurzelschichten, die sich unter der Borke von Atys erstreckten, schufteten Minenarbeiter. Sie förderten wertvollen Bernstein tonnenweise ans Tageslicht. Ihr Berufsstand war geachtet und von allen respektiert. Tief unter der Wüste des Reiches Coriolis arbeiteten Männer tagein tagaus, um den Ruhm ihres Reiches zu mehren und die Schatzkammern des herrschaftlichen Hauses zu füllen.
Es war ein Tag wie jeder andere im ewigen Trott des Bergbaus. Männer schwitzten in der stickig, feuchten Luft der Tiefe und im Schein ihrer Fackeln hoben sie Bernsteine so groß wie ihre Köpfe aus dem dunklen Holz der Äste. Heute wollte man einen ausgebeuteten Tunnelabschnitt verschließen, damit sich die Tiere und Pflanzen dort erholen konnten. In diesem Bereich der Urwurzeln gab es keine aggressiven Tiere, somit hatte man keine Wachen dabei. Was ansonsten durchaus nötig war.
Alle Vorkehrungen waren getroffen und die im Reich der Matis ausgebildeten Pflanzenwuchsexperten hatten bereits ihre Werkzeuge und seltsamen Flüssigkeiten, die sie in die Pflanzen injizieren wollten, zur Stelle. Man würde einige kräftige Wurzelschösslinge und ein Moosbett über die Öffnung wuchern lassen. Dies würde als Abdeckung des Tunnels dienen, bis sich die Natur den Bereich selbst wieder holte. Auch heute würde die Natur ihr Recht fordern, doch anders als die unwissenden Bergleute glaubten.
Aufseher Benodir Nussami blickte auf die arbeitenden Homins hinab. Geschickt warfen sie einige Seile um einen starken Ast, der aus der Decke der Höhle ragte, um an ihm eine Winde zu befestigen.
"Gebt Acht, dass das Seil nicht abrutschen kann. Wenn der Ast zurückschnellt, kann er uns alle in den Tod reißen!", rief er zu seinen Untergebenen hinab. Sie wandten sich kurz um und nickten ihm stumm zu. Er wusste, dass er ihnen mit seinen ständigen Ermahnungen auf die Nerven ging. Sie hatten diese Arbeit schon tausend Mal gemacht und noch nie war etwas wirklich Schlimmes passiert. Aber, so dachte er bei sich, es war immer besser, die Augen offen zu halten und sich nicht von Routine einlullen zu lassen. Eine kleine Unaufmerksamkeit konnte die Höhle zerstören und mit ihr alle, die darin waren.
Wenn der Ast einmal mit dem Moos und dem Boden der Höhle verbunden war, dann bestand keine Veranlassung mehr, vorsichtig zu sein. Aber bis dahin hielt er seine Leute dazu an, alles doppelt zu prüfen.
Rabur schüttelte verärgert den Kopf und spannte die Muskeln, als er kraftvoll an dem Seil zog, das er und sein Bruder Medrig grade über den Ast geworfen hatten. Dieser Nussami war ein übervorsichtiger Idiot, der es liebte, seine Leute herumzukommandieren. Sollte er doch einmal selbst eine Winde anbringen. Dann würde er schon sehen, was das für eine Arbeit war und das man schon genau wissen musste, was man da tat, sonst würde nicht nur der Ast ein Problem sein.
Aber nun konzentrierte der Fyros sich wieder auf seine Arbeit. Während sein geschickterer Bruder neben ihm das Ende des Hauptseiles in die Winde einfädelte, hielt er schwitzend die Spannung am Zugseil, das den einzelnen Ast aus dem dichten Verbund an der Decke gelöst hatte und bog ihn so weit wie möglich hinab, damit Medrig das dickere Hauptseil über ihn werfen konnte. Später konnte dann das gesamte Bündel Äste herabgezogen werden, so dass die Pflanzenpfuscher ihre Arbeit machen konnten.
Wenn sie ihre komischen Gebräue in die Wurzeln spritzten, begannen diese wie wild zu wuchern. Es kam auf den genau richtigen Zeitpunkt an, die Äste zum Boden herab zu ziehen und mit dem ihnen entgegen wuchernden Moos zu vereinen, damit sich die Lücke vollständig schloss.
Medrig nickte ihm zu. Rabur zog noch einmal so fest er konnte und schon warf sein Bruder das aufgerollte dicke Seil über den Ast hinauf, wo es hängen blieb und sich sein Ende dem Boden entgegen rollte.
"Loslassen." sagte Medrig und Rabur ließ das dünnere Seil durch seine behandschuhten Hände gleiten. Mit einem plötzlichen Ruck schnellte der dicke Ast wieder in das Gewirr der Wurzeln zurück. Nun mussten sich die beiden Fyros nur noch am Seil hoch hangeln und es sorgfältig um so viele Wurzeläste wie möglich wickeln. Die Brüder grinsten sich an. Sie mochten diesen Teil ihrer Arbeit.
Diese verrückten Brüder veranstalteten wieder ihren Kletterwettbewerb. Mydix Bedax lief zu seinen Kollegen und stimmte in die Anfeuerungsrufe mit ein, welche die beiden noch schneller die Seile hochtreiben sollten.
"10 Dapper auf Rabur! - 15 auf Medrig!" und so weiter hallte es durch die vom Fackelschein erhellte Höhle und Benodir ließ seinen Arbeitern den kurzen Spaß der Wetten auf die beiden verrückten Kerle. Sie versuchten sich gegenseitig zu behindern, indem der Tiefere dem Höheren an der Hose zerrte oder am Seil des anderen rüttelte, was allgemeines Gelächter unter ihren Kollegen hervorrief. Ein Sturz war nicht allzu tief und beide hatten schon so machen hinter sich, also machte er sich keine großen Sorgen um die Gesundheit seiner Männer. Auch er hatte insgeheim Gefallen an diesem Wettstreit der Brüder gefunden, die es sich nicht nehmen ließen, jedes Mal aufs Neue zu testen, wer von ihnen beiden der schnellere Kletterer war. Ihm war egal wer gewann, denn dass sie diesen Irrwitz durchführten bedeutete, dass sie schneller fertig waren. Innerlich lächelnd aber mit versteinerter Miene, schaute er dem Treiben von der Kuppe eines Abganges herab zu.
Mydix blickte nach oben und feuerte seinen Favoriten Medrig an. Er mochte beide Brüder, aber Medrig war nicht so schweigsam wie sein Bruder und das mochte er. Noch waren die beiden gestandenen Fyros gleich auf und es ließ sich nicht sagen, wer als erster die Höhlendecke erreichen würde, die in guten 15 Metern Höhe über ihnen hing.
Etwas berührte seine Wange und er wischte es mit einer fahrigen Geste beiseite. Gleich darauf fiel etwas von oben herab in sein Auge und er duckte sich instinktiv und fluchte. Es tat weh! Sein tränendes Auge reibend blickte er zu Boden, bis ihm ein erschreckender Gedanke kam. Den Schmerz ignorierend und heftig gegen die Tränen anblinzelnd spähte er in das Zwielicht des Höhlendaches. Und noch immer berührten feine Teilchen sein Gesicht. Er wischte eines von ihnen von seiner Wange und betrachtete es kurz.
Trockenes Holz. Mit spuren eines grauen Flaums darauf. Schimmelpilz.
Erneut blickte er hoch und durch den Schleier seines tränenden Auges sah er etwas, das ihn erstarren ließ. Heftig rammte er seinem Nebenmann einen Ellenbogen in die Seite und als dieser sich ihm ärgerlich zuwandte, schrie er nur: "DA!!!"
Ein Lichtstreifen zeigte sich im Dach der Höhle, zunächst nur klein, aber immer breiter werdend. Das Holz gab nach und brach auf. Es war von Schimmel befallen und gab nun unter der Belastung durch zwei kräftige Fyros, die an zwei Seilen zappelten, nach.
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